3. Waldspaziergänge und andere Diskussionsrunden

Dieses Video ist einer von vier Impulsen unserer Reihe „Wald, Mensch, Perspektiven – Konflikte verstehen, Lösungen gestalten“. Es zeigt, wie Waldspaziergänge und andere Diskussionsrunden als deliberative Formate funktionieren: Moderation, Zuhören und ein gemeinsamer Austausch ermöglichen den direkten Dialog, machen unterschiedliche Perspektiven sichtbar und fördern gegenseitiges Verständnis, um Konflikte konstruktiv anzugehen und tragfähige Lösungen zu entwickeln.
Auf Grundlage unserer Forschung wird deutlich, wie unterschiedliche Interessen im Wald aufeinandertreffen und wie sich solche Konflikte gemeinsam und nachhaltig bearbeiten lassen. In den vier Videoimpulsen der Reihe stellen wir verschiedene deliberative Methoden vor, die wir in unseren Fallregionen erprobt haben. Die weiteren drei Videos der Reihe finden Sie in den Kapiteln 1, 4 und 5.
Überblick über das Kapitel: Am besten funktioniert die Deliberation, wenn man direkt miteinander redet. Eine Moderation führt in das Thema ein, sorgt für einen fairen Ablauf und erinnert bei Bedarf an das Ziel der Diskussion. Die Teilnehmenden bekommen die Gelegenheit, ihre Sichtweise zu erläutern und die anderen Konfliktparteien zu verstehen. Es entsteht ein Raum, in dem Fragen gestellt und Vorschläge gemeinsam bewertet werden.
Eine Fishbowl-Diskussion in Rangsdorf in Brandenburg zur Frage, wie man den Müll am See und im Wald reduziert. (Quelle: Wir im Wald)
Besonders anregend sind Gespräche direkt am Ort des Geschehens, in Form eines Waldspaziergangs. Im „Wir im Wald“-Projekt haben wir zudem ein weiteres Diskussionsformat getestet: die Fishbowl-Diskussion – eine besondere Form der Podiumsdiskussion, in der das Publikum nicht nur Fragen stellen darf, sondern auf Augenhöhe mitdiskutiert. Dafür verlegt man das Podium in die Mitte des Saals und hält im Kreis der geladenen Expertinnen und Experten zwei leere Stühle bereit, auf die sich jede und jeder setzen darf, um etwas zur Debatte beizutragen.
Im folgenden Abschnitt 3.1 erläutern wir die einzelnen Schritte in der Planung solcher Veranstaltungen, die üblicherweise zwei bis drei Monate in Anspruch nimmt. Wir gehen dabei auch auf die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ein, die zwar nicht zwingend, aber häufig sinnvoll ist. Anschließend diskutieren wir im Abschnitt 3.2 wichtige Fragen der Moderation, bevor wir im Abschnitt 3.3 auf die Evaluation und die Fortführung der Debatte eingehen. Zum Schluss des Kapitels stellen wir, wie in allen Kapiteln dieses Handlungsleitfadens, weiterführende Informationen vor.

3.1 Planung der Veranstaltung

Die erste Herausforderung, der Sie sich stellen müssen, ist die Frage nach dem Titel der Veranstaltung: Welches Problem wollen Sie besprechen? Wenn es darüber keine Einigkeit gibt, dürfte es schwer sein, eine Lösung zu finden. Nehmen wir als Beispiel, dass Wandernde und Radfahrende im Wald aneinandergeraten. Aber eine Konfliktpartei sieht das Problem als dringend an, während es die andere für eine Übertreibung hält. Oder eine Konfliktpartei möchte nur darüber diskutieren, wie man die angeblichen Regelverstöße der anderen Partei ahndet. Manchmal lässt sich die Auseinandersetzung darüber verschieben, indem man einen vagen Titel wie zum Beispiel „Bike & Hike – Begegnung im Wald – gemeinsam erkunden und voneinander lernen“ formuliert, der unterschiedlich ausgelegt werden kann. Aber irgendwann müssen Sie sich dieser Frage stellen, denn je klarer das Thema umrissen wird, desto zielgenauer kann die Diskussion verlaufen.
In jedem Fall sollten alle Konfliktparteien bereit sein, sich unter einem gemeinsamen Titel zu treffen und auszutauschen. Sie teilen dann die Hoffnung, dass diese Deliberation zu neuen Einsichten führen kann. Sollte sich in der Diskussion etwa herausstellen, dass Wandernde und Radfahrende nur an wenigen Hotspots im Wald aneinandergeraten, hat man die Möglichkeit, gemeinsam auf diese Erkenntnis zu reagieren. Mit anderen Worten: Sie können damit werben, dass die Konfliktparteien durch die Deliberation die Chance bekommen, neue Lösungen zu entdecken, die für alle Parteien akzeptabel sind.
Die Frage, worüber eigentlich diskutiert werden soll, kann noch verschärft auftreten, wenn ganz unterschiedliche Werte unter einen Hut gebracht werden müssen: beispielsweise die Ziele des Naturschutzes und die des Tourismus und des Sports. Hier können die Interessen beider Seiten so weit auseinanderliegen, dass eine Einigung kaum möglich ist. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, dass Sie sich erst einmal einem Teilaspekt widmen, der lösbar erscheint. Das könnte zum Beispiel ein Spaziergang in einem Gebiet sein, in dem der Druck durch Menschen nicht so groß oder das Ökosystem nicht so empfindlich oder einzigartig ist. Gute Erfahrungen in solchen Veranstaltungen können dann die Zuversicht nähren, dass Sie auch größeren Herausforderungen gewachsen sind.
Diskussion bei einem Spaziergang - hier über eine Hochheide im Sauerland. (Quelle: Wir im Wald)
Wer muss eingeladen werden? Die einfache Antwort: alle Perspektiven auf den Konflikt sollten vertreten sein, da sonst das Ziel – „eine Lösung, die für alle funktioniert“ – nicht erreicht wird. Im ersten Schritt recherchieren Sie die einschlägigen Einrichtungen und Verbände, falls sie nicht ohnehin bekannt sind. Kniffliger wird es bei der Frage, ob damit alle Perspektiven vertreten sind. Vor allem, wenn es um die Interessen der Erholungssuchenden geht, ist das nicht ohne weiteres klar. Und auch die Anwohnerinnen und Anwohner sind nicht unbedingt in einer Initiative organisiert.
„Aus meiner Sicht ist wichtig, dass man die regionalen Akteure in die ganze Thematik einbindet. Und, dass man auch bei der Auswahl der Wanderstrecke darauf achtet, einen Bezug zum Konfliktthema herzustellen.“
Frank Rosenkranz
Forstamtsleitung Oberes Sauerland | Wald und Holz NRW
Wer muss eingeladen werden? Die einfache Antwort: alle Perspektiven auf den Konflikt sollten vertreten sein, da sonst das Ziel – „eine Lösung, die für alle funktioniert“ – nicht erreicht wird. Im ersten Schritt recherchieren Sie die einschlägigen Einrichtungen und Verbände, falls sie nicht ohnehin bekannt sind. Kniffliger wird es bei der Frage, ob damit alle Perspektiven vertreten sind. Vor allem, wenn es um die Interessen der Erholungssuchenden geht, ist das nicht ohne weiteres klar. Und auch die Anwohnerinnen und Anwohner sind nicht unbedingt in einer Initiative organisiert.
Im Projekt „Wir im Wald“ haben wir Interviews geführt, um die Vielfalt der Perspektiven zu ermitteln: journalistische Interviews sowie Interviews und Umfragen, die nach wissenschaftlichen Kriterien gestaltet worden sind (siehe Kapitel 7). Auch eine Analyse der medialen Berichterstattung hat uns geholfen, herauszufinden, wer welche Ansichten vertritt. Dieser Aufwand wäre für eine einzelne Diskussionsrunde übertrieben, aber es lohnt sich dennoch, mit einigen Personen über diese Fragen nachzudenken. Am besten stellen Sie ein Vorbereitungsteam zusammen, in dem mehrere Sichtweisen vertreten sind. Darüber hinaus können Sie die Veranstaltung so offen gestalten, dass neue Konfliktparteien von sich aus dazustoßen können. Eine solche Öffentlichkeitsarbeit ist zwar nicht notwendig, kann aber sinnvoll sein, wenn Sie es mit vielen Menschen zu tun haben, deren Interessen Sie nicht überblicken.
Es versteht sich von selbst, dass Sie die Veranstaltung rechtzeitig ankündigen und einen Termin wählen sollten, an dem alle Konfliktparteien mutmaßlich Zeit haben werden. Besser noch: Sie beziehen die Konfliktparteien in die Vorbereitung ein. Das macht die Vorbereitung natürlich anstrengender, aber es wird sich auszahlen: Sie haben dann gewissermaßen einen Teil der deliberativen Arbeit schon geleistet und Ihre Veranstaltung beginnt nicht bei null. Auf den Punkt gebracht wird es mit dem Absender der Einladung: wer lädt (in wessen Namen) ein, wer verantwortet eventuelle Flyer oder Pressemitteilungen?
Die Einladung sollte nicht nur über das Thema, den Termin und den Treffpunkt informieren, sondern auch erklären, was man beim Spaziergang erreichen möchte und warum sich eine Teilnahme lohnt. Das muss kein langer Text sein, denn schon mit wenigen Worten oder Bildern lässt sich zeigen, dass es um Austausch und Verständigung geht, dass Brücken gebaut oder zumindest Gemeinsamkeiten gesucht werden. Man kann dazu Menschen im Gespräch zeigen, die einander interessiert zuhören.
Zwei Flyer, mit denen Medienstudierende zu Veranstaltungen im Sauerland eingeladen haben. (Quelle: Wir im Wald)
Nun können Sie sich fragen, ob das nicht zu viel Harmonie ist, denn es gibt schließlich ein Problem zu lösen. Darf man auch den Stein des Anstoßes zeigen, also etwa den Müll, der im Wald liegen bleibt, oder die tiefen Spurrillen, an denen sich nach Waldarbeiten Wandernde und Radfahrende stören? Und darf man ein wenig provozieren, um die Konfliktparteien aus der Reserve zu locken, indem man fragt: „Wem gehört der Wald?“ Bei solchen Entscheidungen sollten Sie sich von der Frage leiten lassen, ob eine Konfliktpartei den Eindruck bekommen könnte, sie müsse sich auf der Veranstaltung verteidigen – denn wenn sie das befürchtet, wird sie vielleicht nicht kommen.  Sie können nicht völlig ausschließen, dass jemand eine Formulierung oder ein Bild falsch versteht, aber Sie können die Gefahr reduzieren, indem Sie die Einladung in einem divers besetzten Vorbereitungsteam besprechen.
Pragmatisch abwägen müssen Sie, ob Sie eine Anmeldung verlangen. Eine Anmeldung ist zwar eine Hürde für die Teilnahme, aber sie gibt Ihnen rechtzeitig Aufschluss darüber, ob die Einladung angenommen wird. Bleiben die Anmeldungen aus, können Sie bei den Eingeladenen nachhaken oder die Werbung verstärken. Außerdem können Sie die Angemeldeten anschreiben, falls Sie die Veranstaltung wegen schlechten Wetters oder Krankheit wichtiger Referentinnen und Referenten absagen müssen.
Wenn man die Deliberation für weitere Interessierte offenhalten möchte, kann man sie öffentlich bewerben. Und wenn Erholungssuchende oder andere Menschen, die nicht in Verbänden organisiert sind, eingeladen werden sollen, kommt man um Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nicht herum. Für die Deliberation ist zwar nicht entscheidend, dass die Öffentlichkeit beteiligt wird, oft aber gibt es ein öffentliches Interesse am Thema der Deliberation – und das macht die Öffentlichkeit dann gewissermaßen zur Konfliktpartei, die die Lösung am Ende auch mittragen muss.
Die Adressen von Lokalredaktionen sind leicht zu finden, oft dürften schon Kontakte bestehen. Es lohnt sich, in den Redaktionen nachzufragen, an wen man eine Einladung richten sollte, damit sie gleich auf dem richtigen Schreibtisch landet. Üblich sind Einladungen per E-Mail und ein telefonisches Nachhaken zwei oder drei Tage später. Die Einladung sollte die Informationen in den Vordergrund stellen, die Medienschaffende benötigen, um sich für eine Berichterstattung zu entscheiden. So sollte auf den ersten Blick klar werden, dass es sich um eine Einladung handelt (mit Thema, Ort und Zeitpunkt). Dann sollte der Konflikt prägnant umrissen werden, und falls es einen aktuellen Anlass geben sollte (zum Beispiel eine anstehende Entscheidung des Gemeinderats), sollte auch dieser Bezug hergestellt werden. Namhafte Expertinnen und Experten können Medienschaffende ebenfalls zur Teilnahme motivieren. Die Informationen zu den Veranstaltern, zum Wald und dem Konflikt gehören in einen sogenannten Abbinder ans Ende der Pressemitteilung. Hinzufügen sollte man zwei oder drei Fotos mit Erläuterungen und der Erlaubnis, sie in der Berichterstattung zu nutzen. Sie können auch einen Einladungstext formulieren, den die Redaktion direkt veröffentlichen kann. Er sollte dann im journalistischen Stil geschrieben sein, sodass nicht weiter redigiert werden muss.
Ablaufschema zur Vor- und Nachbereitung sowie Durchführung eines Waldspaziergangs (Quelle: Wir im Wald)
Neben dem Weg über die Redaktionen können Sie die Öffentlichkeit auch direkt einladen. Dazu müssen Sie sich überlegen, welche Kanäle geeignet sind: Nutzt das Zielpublikum Social Media oder kommt es regelmäßig an bestimmten Orten vorbei, an denen man es mit Flyern, Postkarten oder Plakaten erreicht? Bei der Evaluation des Spaziergangs (siehe Abschnitt 3.3) können Sie die Teilnehmenden fragen, wie sie auf die Veranstaltung aufmerksam geworden sind, und beim nächsten Mal die Ressourcen auf die Kanäle konzentrieren, die am häufigsten genannt werden. Auf manchen Kanälen – vor allem auf Social Media – muss man etwas plakativer werden, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und bei Newslettern, Mitgliederzeitungen und Programmheften kann der Redaktionsschluss früh liegen, sodass Sie sich rechtzeitig darüber informieren sollten.
Um bei der Veranstaltung ins Gespräch zu kommen, können Sie Expertinnen und Experten bitten, ins jeweilige Thema einzuführen. Bei einem Waldspaziergang macht man an einer vorher festgelegten Station Halt und hört zwei unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema. Bei der nächsten Station können es zwei andere Personen sein, falls es wichtig sein sollte, dass möglichst viele Konfliktparteien die Gelegenheit erhalten, einen Input zu liefern. Bei einer Fishbowl-Diskussion kann man drei bis fünf Personen einladen, die zu Beginn der Diskussion in einem Stuhlkreis in der Mitte des Saals sitzen und den Auftakt bestreiten. Die Einführungen und Stellungnahmen sollten Sie aber kurz halten, damit genügend Zeit für die Diskussion bleibt. Die Moderation muss in jedem Fall darauf achten, dass neben den geladenen Expertinnen und Experten auch das Publikum zu Wort kommt. Es lohnt sich, mit der Moderation und den Expertinnen und Experten Vorgespräche zu führen. In diesen Gesprächen können Sie die Ziele und den Ablauf der Veranstaltung klären, was die Anspannung reduziert, da mit weniger Überraschungen gerechnet werden muss. Zudem bekommt die Moderation einen ersten Eindruck von den Argumenten und dem Auftreten der Expertinnen und Experten.
Zum Schluss dieses Abschnitts ein Wort zum Budget: Eine Diskussionsrunde kostet nicht viel, denn ein guter Teil der Arbeit wird ehrenamtlich oder als Teil der beruflichen Aufgabe geleistet. Für Fishbowl-Diskussionen kann eine Raummiete anfallen. Flyer, Postkarten und Poster können in kleiner Auflage für 50 oder 100 Euro gedruckt werden, auch das Bewerben eines Social-Media-Posts, um neue Zielgruppen zu erreichen, liegt in dieser Größenordnung. Teurer wird in der Regel nur die Moderation, wenn man sich diese Dienstleistung professionell einkauft. 

3.2 Durchführung der Veranstaltung

Auch wenn die Teilnehmenden den Konflikt gut kennen sollten, hilft ihnen eine kurze Einführung in das Thema. Sie kommen gerade von irgendwoher und müssen sich gedanklich erst auf das Thema einstellen. Die Einführung setzt zudem den Ton der Diskussion, daher sollten die Worte mit Bedacht gewählt werden. Zitiert man Fakten oder erzählt man eine Anekdote? Nutzt man Fachjargon oder erklärt man alles umgangssprachlich? Setzt man eine besorgte Miene auf oder baut man einen Witz ein? Wie auch immer Sie sich entscheiden – das Publikum wird sich im Verlauf der Diskussion daran orientieren.
Mit Fakten und Fachjargon sollten Sie vorsichtig umgehen. Wenn Laien dabei sind oder die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Disziplinen kommen, sollten Fachbegriffe stets erläutert werden, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt. Bei Zahlen sollten Sie sich auf eine oder zwei aussagekräftige beschränken, auch eine übersichtliche Grafik (bei einem Spaziergang auf DIN A3 ausgedruckt und laminiert) ist denkbar. Danach wird es unübersichtlich. Und man möchte auch nicht den Eindruck erwecken, dass nur mitdiskutieren darf, wer die einschlägigen Fakten auswendig zitieren kann. Persönliche Erlebnisse sind hingegen leichter zu verarbeiten und regen die Diskussion besser an.
Ob Sie dem Publikum erst einmal klarmachen, wie dramatisch die Lage ist, oder ob Sie das Publikum mit einer guten Portion Optimismus darauf einschwören, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, wird davon abhängen, wie Sie es einschätzen. Wenn Sie sich unsicher sind, können Sie mit Fragen an das Publikum einsteigen: „Wie sehr stört Sie der Konflikt?“ „Haben Sie Hoffnung, eine Lösung zu finden?“ Wichtig ist in jedem Fall, dass alle Konfliktparteien bestätigt bekommen, dass ihre Interessen berechtigt sind und dass sie in der Deliberation nicht um Anerkennung kämpfen müssen.
Bei Bedarf kann die Moderation besondere Regeln für die Diskussion aufstellen und beispielsweise erläutern, dass die Redezeit begrenzt ist. Doch in vielen Fällen darf man erst einmal davon ausgehen, dass alle ein Interesse an einem fairen und respektvollen Austausch haben – und es genügt, an den üblichen Anstand zu erinnern, wenn sich jemand in der Diskussion verrennt.
Ein Förster stellt an einer Station des Waldspazirgangs seine Sicht der Dinge vor. (Quelle: Wir im Wald)
„Es kommen natürlich Gespräche zustande, die viel tiefer gehen und persönlicher sind. Und auch die Ruhe des Waldes trägt dazu bei, dass man besser auf die Perspektiven des Anderen eingehen kann und versucht, diese Perspektiven auch zu verstehen.”
Sabine Risse
Themenmanagerin Wandern | Sauerland Tourismus e. V.

Waldspaziergang:

Ein Waldspaziergang führt an die Orte des Konflikts, wo man die Themen am konkreten Beispiel erläutern und diskutieren kann. Daher bietet es sich an, drei bis fünf solcher Stationen festzulegen, an denen man anhält und jeweils 10 bis 15 Minuten über einen Teilaspekt des Konflikts redet. Wenn die Gesamtstrecke bei drei bis vier Kilometern liegt, kommt man in 90, spätestens 120 Minuten ans Ziel. Prüfen sollte man, ob man den Spaziergang barrierefrei anbieten kann.
Eine Moderationstechnik ist, zwei Expertinnen oder Experten mit unterschiedlichen Ansichten zu bitten, ihre Perspektive zu schildern, und dann die Diskussion für alle zu öffnen. Sie können aber auch weitere interaktive Elemente einbinden: Eine anregende Option ist, die Teilnehmenden zu bitten, sich zu einer Frage entlang einer gedachten Linie zwischen zwei extremen Antworten („volle Zustimmung“ und „volle Ablehnung“) zu positionieren. 
Auf diese Weise erkennen Sie schnell, wie die Meinungen verteilt sind, und können einzelne Personen bitten, ihre Position zu begründen. In der anschließenden Diskussion wird meist deutlich werden, dass man aus ganz unterschiedlichen Gründen Ja, Nein oder Vielleicht sagen kann.
Auch zwischen den Stationen können Sie die Diskussion zusätzlich anregen, falls das nötig sein sollte. Eine Möglichkeit besteht darin, aus Personen mit unterschiedlichen Meinungen Grüppchen zu bilden und jedem Grüppchen eine Karte mit einer Frage zum Konflikt oder einem Bild des Konflikts auszuhändigen. An der nächsten Station können Sie die Grüppchen fragen, ob sie zu einer gemeinsamen Ansicht gekommen sind.
Daumen hoch oder Daumen runter? - Fragerunde mit Abstimmung während des Naturspaziergangs (Quelle: Wir im Wald)

Fishbowl-Diskussion:

Bei einer Fishbowl-Diskussion tauschen zunächst die geladenen Expertinnen und Experten untereinander ihre Meinungen aus: Sie verteidigen ihre Sichtweise oder kritisieren die Position der anderen. Nach 20, spätestens 30 Minuten sollten die ersten Personen aus dem Publikum sich auf einen der freien Stühle in der Mitte des Saals setzen und in das Gespräch einsteigen. Die Moderation sollte sich vorab einige aufmunternde Sätze überlegen, mit denen sie das Publikum zur Teilnahme motiviert, falls das nötig sein sollte. Die Expertinnen und Experten vom Anfang der Diskussion dürfen auch ihren Platz freimachen, um noch mehr Personen das Mitdiskutieren zu ermöglichen.
Um etwas Schwung in eine erlahmende Debatte zu bringen, können Sie dem Publikum Fragen stellen: „Wie ist Ihre Stimmung gerade?“ „Nennen Sie uns ein Stichwort, über das wir reden sollten!“ Da die meisten Teilnehmenden ihr Smartphone in der Tasche haben werden, können Sie digitale Tools wie Mentimeter oder AhaSlides nutzen, um ein schnelles Meinungsbild zu bekommen. Denken Sie aber daran, dass sich ein Teil des Publikums umdrehen muss, sofern Sie nicht mit zwei Leinwänden arbeiten können.
Falls die Debatte hingegen hitzig werden sollte oder die Argumente in so schneller Folge in den Raum geworfen werden, dass man sie nicht mehr verarbeiten kann, kann man auf einem Flipchart oder einer Leinwand eine Liste mit Stichpunkten anlegen. Dann sieht jeder, dass sein oder ihr Punkt angekommen ist, und unbearbeitete Punkte können in die nächste Diskussionsrunde übernommen werden.
Für den Ablauf der Diskussionsrunde werden Sie sich ein Schema überlegen – einen logischen Ablauf, der keinen wichtigen Aspekt unterschlägt. Seien Sie aber darauf gefasst, dass sich das Publikum nicht daran halten wird. Wenn das Publikum überraschend auf einen neuen Aspekt einsteigt, obwohl der letzte Punkt noch nicht abgeschlossen ist, hat die Moderation zwei Möglichkeiten: das spontane Interesse nutzen und später auf den noch offenen Punkt zurückkommen oder den neuen Aspekt hintanstellen.
Livestream des Waldspaziergangs über Instagram (Quelle: Wir im Wald)
Für die Ergebnissicherung (siehe den folgenden Abschnitt 3.3) kann es sinnvoll sein, Fotos und Videos aufzunehmen. Das sollte die Moderation zu Beginn der Veranstaltung erwähnen, man kann es auch schon in die Einladung schreiben. Teilnehmenden sollte man die Möglichkeit geben zu signalisieren, dass sie keine Aufnahmen von sich veröffentlicht sehen wollen.
Wenn die Netzabdeckung ausreicht, kann man ein größeres Publikum erreichen, indem man die Veranstaltung auf Facebook, YouTube oder Instagram streamt. Die Plattformen bieten unterschiedliche Funktionalitäten, sind aber alle einfach zu bedienen. Für Fishbowl-Diskussionen kann man die Kamera fest installieren und allen Personen im inneren Stuhlkreis ein Mikrofon geben. Für den Livestream im Wald benötigt man zwei Personen, von denen eine die Kamera führt und die andere das Mikrofon hält.  Wenn die Teilnehmenden in einem großen Kreis stehen, muss die Person mit dem Mikrofon hin- und herlaufen, aber wenn alle ein wenig Geduld haben, ist es möglich, am Smartphone der Diskussion zu folgen. Beim Spazieren von einer Station zur nächsten können einzelne Teilnehmende zu ihrer Meinung und ihrem persönlichen Hintergrund befragt werden. Bei beiden Formaten kann eine weitere Person Fragen des Online-Publikums im Blick behalten und diese in die Diskussion tragen.
Die Moderation sollte in erster Linie unabhängig und neutral sein, also sich keiner Konfliktpartei verpflichtet fühlen. Ihre Aufgabe ist es, den Austausch zu erleichtern, indem sie Kommunikationshürden überwindet. Dazu gehört, dass sie stille Teilnehmende zum Mitdiskutieren ermutigt und andere in ihrem Eifer ein wenig bremst. Dazu gehört auch, dass sie bei unverständlichen oder komplexen Sachverhalten nachhakt und dafür sorgt, dass alle den Punkt verstehen. Die Moderation kann zum Beispiel versuchen, eine Meinungsäußerung mit eigenen Worten wiederzugeben, um zu prüfen, ob sie sie richtig verstanden hat. Nicht zuletzt hat sie die Möglichkeit, auf eine Meta-Ebene zu springen und für Orientierung in der Diskussion zu sorgen: indem sie zum Beispiel auf Gemeinsamkeiten oder strittige Punkte hinweist oder an das eigentliche Thema erinnert, wenn sich die Diskussion auf einen Nebenpfad begeben hat. Nur eins sollte sie nicht versuchen: die Diskussion zusammenzufassen. In 90 Minuten werden so viele Meinungen vertreten und begründet, dass man nicht alle im Kopf behalten kann. Versucht man eine Zusammenfassung, vergisst man garantiert einen wichtigen Beitrag. Sinnvoll ist hingegen, am Ende der Veranstaltung die nächsten Schritte festzulegen.
In vielen Fällen wird erwartet, dass sich die Moderation fachlich gut auskennt, also mit dem Konflikt, den Konfliktparteien und ihren Ansichten und Einschätzungen vertraut ist. Falls sich die Moderation erst einarbeiten muss, sollte man dafür eine angemessene Zeit einplanen und mehr als nur ein einzelnes vorbereitendes Gespräch vorsehen. In manchen Fällen kann es aber auch belebend sein, wenn die Moderation den Standpunkt eines Laien einnimmt und an Stellen nachfragt, an denen es die Fachleute nicht erwarten. Das zwingt die Fachleute, sich über selbstverständlich erscheinende Sachverhalte erneut Gedanken zu machen. Das kann eine Deliberation auf neue Bahnen lenken, aber es sollte nicht dazu führen, dass Zeit damit vergeudet wird, der Moderation Sachverhalte zu erläutern, die allen Teilnehmenden geläufig sind.

3.3 Nachbereitung der Veranstaltung

Um in Erfahrung zu bringen, ob in der Deliberation Fortschritte gemacht wurden, können Sie am Ende der Diskussionsveranstaltung ein Blitzlicht abfragen: „Hat es Ihnen gefallen?“ „Nehmen Sie für sich etwas mit?“ „Sind Sie beim nächsten Mal wieder dabei?“ Einzelne Teilnehmende könnten dann noch Gelegenheit bekommen, ihre Antwort zu erläutern – zum Beispiel ihr persönliches Highlight des Spaziergangs oder des Debattenabends zu benennen.
Für ein ausführlicheres Feedback sind schriftliche Fragebögen auf Klemmbrettern oder QR-Codes, die zu einer Online-Umfrage führen, geeignet. Am besten werden die Fragen an Ort und Stelle beantwortet, denn später gerät das leicht in Vergessenheit. Eine oft genutzte Form der Abfrage sind Aussagen, denen die Befragten auf einer 5er-Skala von „gar nicht“ über „eher nicht“, „teils, teils“, „eher ja“ bis „voll und ganz“ zustimmen dürfen. Die Beantwortung der Fragen sollte nur zwei oder drei Minuten dauern, daher sollte man sich auf Fragen beschränken, die einem helfen, die weitere Deliberation zu planen (mehr zum Thema Umfragen in Kapitel 7). Typische Dimensionen für die Bewertung sind: die Organisation der Veranstaltung, die Behandlung des Themas, das Klima der Diskussion und die Zufriedenheit mit der Diskussion. Zudem können spezifische Ziele der Deliberation abgefragt werden: konnte man seine Gedanken einbringen, wurde man zum Nachdenken angeregt, versteht man den Konflikt nun besser, hält man eine Lösung für möglich oder ist man sogar einer Lösung näher gekommen? Wenn man noch einige persönliche Daten abfragt, vor allem den Bezug zum Wald – professionell, oder nicht? welche Branche? –, hat man die Chance, Unterschiede in den Antworten festzustellen: Vielleicht waren manche Konfliktparteien zufrieden, aber nicht alle? Das wäre dann ein Anlass, der Sache nachzugehen.
Ein Spaziergang ist nur bis zu einer Größe von 20 oder 30 Personen handhabbar, daher können nicht immer alle Vertreterinnen und Vertreter der Konfliktparteien teilnehmen. Bei einer Fishbowl-Diskussion kann der Veranstaltungsraum mehr Menschen fassen, doch vermutlich können in anderthalb Stunden nicht alle zu Wort kommen. Um ein größeres Publikum einzubinden, können Sie versuchen, die Ergebnisse nach dem Spaziergang in die Öffentlichkeit zu tragen oder sie den Konfliktparteien zur weiteren Verbreitung zur Verfügung zu stellen. Am einfachsten sind Berichte auf Ihren eigenen Kanälen, also in Ihrem Newsletter, in Ihrer Mitgliederzeitschrift oder auf Social Media (siehe dazu Kapitel 4 und 5). 
In einer schlichten Variante könnte Ihr Bericht darüber informieren, dass eine Diskussion zu einem bestimmten Konflikt stattgefunden hat. Interessanter wird es, wenn Sie deutlich machen, wie und mit welchem Ergebnis diskutiert worden ist. Es ist zwar fast unmöglich, in einer Zusammenfassung der Deliberation allen Beteiligten gerecht zu werden, und die Diskussion verläuft meist nicht so gradlinig, dass man sie Personen, die nicht dabei waren, gut vermitteln könnte. Aber Sie können einen Eindruck von der Stimmung und von den Argumenten vermitteln, indem Sie einzelne Teilnehmende mit ihren Aussagen zitieren oder einige Teilnehmende einladen, ein persönliches Fazit zu ziehen. Fotos mit aussagekräftigen Bildunterschriften geben einen zusätzlichen Eindruck vom Diskussionsklima – vor allem, wenn man dabei in die Gesichter der Menschen blicken kann (siehe zur Berichterstattung auch das Kapitel 4). Und wenn Sie eine Kommentarfunktion einrichten, kann die Debatte über die Medien sogar fortgesetzt werden. Sie können zum Beispiel strittige Teilaspekte vertiefen oder vielversprechende Lösungen auf ihre Machbarkeit prüfen.

3.4 Weiterführende Angebote und eine Checkliste

Checkliste
1. Initiative
 Projektgruppe zusammenstellen: Sind Vertreterinnen und Vertreter der
    wichtigsten Konfliktparteien bereit, den Spaziergang gemeinsam
    vorzubereiten?
 Thema eingrenzen: Sehen alle die Interessen der anderen als berechtigt an
    und gehen ergebnisoffen in den Austausch?
 Überblick verschaffen: Gibt es Kontakte zu allen Konfliktparteien? Falls
    nicht, Vorgespräche führen, um die Interessenslage kennenzulernen.
2. Planung
✓ Route des Spaziergangs bzw. Ablauf der Diskussionsrunde festlegen:
    Welche Aspekte des Themas lassen sich an den verschiedenen Stationen
    bzw. in den verschiedenen Themenblöcken diskutieren?
✓ Zeitpunkt festlegen: Passt dieser Zeitpunkt allen Konfliktbeteiligten oder
    grenzt er manche aus?
 Expertise und Moderation anfragen: Wer könnte die Diskussion inhaltlich
    und organisatorisch bereichern? Vorgespräche führen und einige Tage vor
    der Veranstaltung eine Generalprobe durchlaufen.
 Ablaufplan erstellen: Wie viel Zeit soll für die einzelnen Stationen bzw. die
    Themenblöcke eingeplant werden?
 Kosten kalkulieren: Reicht das Budget?
3. Einladung
 Passende Fotos organisieren und Einladungstexte absprechen.
 Briefe an die Konfliktparteien versenden
✓ Eigene Kanäle bespielen: Social Media, Website, Newsletter, Flyer oder 
    Plakate
 Eventuell Presseverteiler zusammenstellen
 Presseinformation versenden
4. Spaziergang
 Begrüßung vorbereiten
✓ Inhaltliche Einführung absprechen
 Eventuell Moderationsmaterial produzieren
 Foto- und Videoaufnahmen beauftragen
 Evaluation vorbereiten
✓ Berichterstattung beauftragen

 

 
Weiterführende Angebote
 
Das Mountainbike Tourismusforum bietet auf der Website www.natkit.org einen Überblick über zahlreiche Maßnahmen zur Besucherlenkung. Sie sind zwar nicht auf Dialog ausgerichtet, sammeln aber nach und nach Best practice-Beispiele zu kommunikativen Maßnahmen.
Die Website www.wissenschaftskommunikation.de/formate hat eine große Menge von Kommunikationsformaten zusammengestellt. Sie widmen sich zwar der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte, doch einige Formate sind auf den Dialog ausgerichtet und nicht auf wissenschaftliche Themen beschränkt: etwa die Fishbowl-Diskussion und das World Café.
Das Constructive Institute in Dänemark, das den lösungsorientierten Journalismus fördert, hat Initiativen zusammengestellt, in denen das aktive Zuhören und das Überbrücken von Gegensätzen im Vordergrund stehen. Eine englischsprachige Broschüre vermittelt einen Überblick: constructiveinstitute.org/listen-louder-project
Studierende der Hochschule der Medien Stuttgart erklären in fünf kurzen Tutorials für Anfänger und Fortgeschrittene den Umgang mit Instagram: wir-im-wald-magazin.de/praxistipps
Das Buch „Journalistisches Schreiben. Grundlagen und Möglichkeiten“ (Reclam 2023) erklärt an Beispielen den journalistischen Schreibstil und wie er sich auf das leicht verständliche Informieren konzentriert.
Eine praxisorientierte Einführung in die Pressearbeit bieten die Website https://www.verbaende.com/report/artikel/pressekonferenzen-planen-und-organisieren-1564/ sowie das vierte Kapitel „Die Macht der Pressearbeit“ im Buch „Public Relations. Medienwissen kompakt“ (Springer VS 2023).